Resonanzen
Rosa Süß & Hanna Klingseisen
2025, Seidlvilla München

















„[Das Leben gelingt], [w]enn wir eine geradezu libidinöse Bindung an es haben.“ Hartmut Rosa
Auf diese Weise erklärt Hartmut Rosa den Zustand einer innigen, lebendigen Weltbeziehung.
Momente des umfassenden Aufgehobenseins, in welchen unser Einlassen auf die Welt ein resonantes Echo erzeugt. Resonanz als ein Vorgang, der eine Beziehung zwischen Subjekt und Welt eröffnet, ohne dass diese Kontrolle oder Vollständigkeit beanspruchen kann. Sie entsteht dort, wo wir in eine Beziehung eintreten, in der die Welt uns berührt und wir auf diese Berührung antworten.
Rosa beschreibt seine Vorstellung von Gesellschaft als ein Gewebe aus vibrierenden Fäden,als einen lebendigen, atmenden Mechanismus, der jedoch nicht technisch optimiert und reibungslos funktionieren muss. Die lebendigen Momente der Resonanz können in einer von Leistung geprägten Gesellschaft nicht gemacht oder garantiert werden. Gerade diese Unverfügbarkeit macht sie rar und zu modernen Sehnsuchtsorten.
Durch wachsende Beschleunigung und Optimierung in allen Lebensbereichen ersetzen Stille und Entfremdung die Erfahrung der Resonanz. Die kapitalistische Verwertung des Bedürfnisses nach Resonanzbeziehungen steht einem Mangel an Ressourcen für das Schaffen von Resonanzräumen zwangsläufig gegenüber. In einer Welt der fragmentierten und individualisierten Aufmerksamkeiten und Emotionen stellt Resonanz nicht nur eine individuelle Erfahrung dar, sondern eine (wünschenswerte, utopische) gesellschaftliche Norm und eine politische Idee.
Auf Basis der Rosa’schen Resonanz-Theorie zur Beziehung des Subjekts zur Welt, die es umgibt, befragen Rosa Süß und Hanna Klingseisen ihr Arbeiten und Sein nach seiner Qualität, seinen Grenzen, vor allem aber nach seinen verbindenden Möglichkeiten. Der Konzeption der Ausstellung liegt ein gemeinsamer, resonanter Arbeitsprozess zugrunde, ein gegenseitiges Wahrnehmen und Reagieren, ein Sich-Öffnen, Initiieren und Loslassen. Die Künstlerinnen hinterfragen und erweitern hierdurch ihr bisheriges Arbeiten.
Auch das textile Medium fungiert in diesem Zusammenhang als Resonanzkörper. Seine vielfältigen metaphorischen Bedeutungen vermitteln uns das Gefühl von Wärme, Schutz und Zugehörigkeit oder im Kontrast dazu ein Gefühl von Abgeschiedenheit, Enge, oder Kratzen auf der Haut. Die Auseinandersetzung mit dem Material im kollektiven Arbeiten bietet die Möglichkeit, Resonanz als eine verbindende Form der Weltbeziehung zu erforschen, aber auch eine Akzeptanz von Brüchen, Spannungen und Transformationen auszuhalten.
In multimedialen Arbeiten entsteht dadurch ein immersiver Raum, der nicht nur die intime Resonanz der Beziehung der Künstlerinnen unter einander widerspiegelt, sondern am Ende den Boden bietet für eine Visualisierung der „Momente der Fülle“.
Rosa Süß & Hanna Klingseisen 2024










Textilien sind vielfach metaphorisch belegt, sie fungieren als direkte Hülle oder Verbindung zum Außen – als Kleidung, Decken, Vorhänge, Zelte. Darin suggerieren sie Sensualität, Wärme, Geborgenheit und Schutz. In ihrer Kategorisierung dienen sie sowohl der Zugehörigkeit im Sinne einer Uniform, wie auch der individuellen Abgrenzung.
In der Konstruktion einer individuellen Kontur durch Haut, Kleidung oder persönliche Einstellungen wird eine Grenze zum Außen gezogen und damit eine scheinbare Form gegeben. Die Kontur trennt uns vom Gegenüber ab und kann doch dazu beitragen, Teil eines Ganzen zu sein. So wird im Austausch, in der Verbindung mit einem Gegenüber immer ein wenig das DU zum ICH. Es gibt kein Selbst ohne einen Anderen, keine Subjektivität ohne Intersubjektivität.
Was passiert im Dazwischen, einem Raum der Schnittmenge und Vermischung? Wie sehr brauchen wir eine eigene Form und wie widerspricht diese dem Wunsch nach Zugehörigkeit? Wenn Berührungspunkte entstehen, lösen sich Grenzen oder formen sich neu, somit ist das Ende des Einen der Anfang des Anderen. Wir grenzen uns über unsere Individualität ab, jedoch findet zeitgleich eine Entgrenzung statt, indem wir mit einem Teil der Öffentlichkeit verschmelzen, in unserer Darstellung, Arbeit, politischer Einstellung und dem globalem Denken.
„Das dominierende Kollektive wird zur bequemen Sphäre, als Ausdruck der immerwährenden Ferien vom Ich“ (Thomas Mann)
In der aktuell zu beobachtenden Polarisierung der Gesellschaft wird die Sehnsucht, Teil eines großen Ganzen zu sein, offensichtlich. Die Komplexität moderner Gesellschaften verführt dazu, die eigenen Grenzen zu verwischen – ein Sich-Fallen-Lassen in kollektive Meinungen und Ideologien. Dieser Prozess der Entgrenzung führt zum Verlust der eigenen Kontur, die Anstrengung, diese zu erhalten, scheint obsolet.
Andersherum gedacht, ist das Auflösen in der Masse ein negativer Vorgang, ein Velust. Demgegenüber steht ein postiver, wenn individuelle Konturen in ihrer Einzigartigkeit aufeinander treffen und in ihrer Berührung und Vermengung ein Neues zu schaffen.
Randbereiche 2023









„Die Grenze ist keine räumliche Tatsache mit soziologischer Wirkung, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt." (Georg Simmel)
Textilien fungieren als natürliche Grenzen, sie sind Kleidungsstücke, Decken, Vorhänge, Zelte. Stoffe sind eng verknüpft mit emotionalem Erleben und persönlichen Erfahrungen, ihr taktiler Reiz ist in unserer leiblichen Erinnerung eingeschrieben.
Das Textile als das den Körper Umhüllende ist Teil des ersten Eindrucks einer Begegnung, es entscheidet über Nahbarkeit und Abgrenzung, Empathie oder Zweifelhaftigkeit des Gegenübers.
Die Komplexität der Grenze besteht darin, dass sie wahrzunehmen nur von außerhalb, in der Vogelperspektive oder durch ihr Verletzen, also in einer Überschreitung der Grenze gelingt.
Hanna Klingseisen beschäftigen Be- und Entgrenzungen, im privaten wie gesellschaftlichen Kontext.
Ursprünglich ausgehend von Erfahrungen der Mutterschaft, stellt sie sich in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung Fragen, die weit über diesen persönlichen Raum hinausgehen: Wieviel bleibt vom Selbst, von der eigenen Kontur, wenn eine ständige, (zeitlich wie räumliche) Verbindung mit zu anderen Menschen besteht?
Was macht unsere eigene Grenze aus? Wodurch entstehen Verbindungen?
Gesellschaftliche Entgrenzungen zeigen sich im Lösen von Strukturen, dabei steht das Individuum der Gemeinschaft gegenüber.
Trotz stetig zunehmender Individualisierung und damit einhergehender Abgrenzung, verschmelzen wir gleichsam mit der Öffentlichkeit – in unserer Darstellung, in unserem Arbeiten und globalem Denken.
In gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht entstehen neue Berührungspunkte, Grenzen lösen sich, formen sich neu. Das Ende des einen wird zum Anfang des anderen.
Verwoben mit unserem Selbst und der Außenwelt, formt unsere individuelle Wahrnehmung Begrenzungen oder ermöglicht es, diese aufzulösen.
Wie ziehen wir die Grenzen zwischen den Dingen, und welche Beziehung besteht zwischen inneren und äußeren Grenzen?







2021/2022













